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Die Devise der gesamten vinzentinischen Familie fr 2017 soll alles erklren:
Ich war fremd, und ihr habt mich aufgenommen (Mt 25,35). Wenn unser Blick auf
unsere Brder und Schwestern gerichtet ist, namentlich auf die Verlassensten und auf
jene, um die sich niemand kmmert, dann knnen wir sicher sein, dass unser
berlegen, unser Planen und unser Handeln sich in die richtige Richtung bewegen;
wir mssen immerhin den ersten Schritt wagen. Das Fest des heiligen Vinzenz von
Paul gibt uns eine neue Gelegenheit, auf die Beweggrnde und die Art und Weise der
berlegung, der Planung und des Handelns des heiligen Vinzenz zu schauen.
Der Theologe Karl Rahner hat gegen Ende des 20. Jahrhunderts folgende
prophetische Worte gesagt: Die Christen des 21. Jahrhunderts werden Mystiker sein,
oder sie werden nicht mehr sein. Warum knnen wir vom heiligen Vinzenz von Paul
sagen, dass er ein Mystiker der Nchstenliebe war?
Ich mchte jeden und jede von uns einladen, ausgehend von der folgenden
Frage persnlich und als Gruppe zu berlegen, zu planen und zu handeln:
Warum und wie kann ich Vinzenz als Mystiker der Nchstenliebe beschreiben?
Ich habe drei unserer Mitbrder, die ber dieses Thema in der Vergangenheit
nachgedacht und geschrieben haben, gebeten, mit uns eine kurze persnliche
berlegung zu teilen. Mgen diese Gedanken uns helfen, unsere eigenen zu
erneuern und zu vertiefen.
und mit den Augen Jesu, und er nahm alle mit einer bedingungslosen Liebe, mit
Wrme und in der Kraft des Heiligen Geistes auf.
Die Mystik von Vinzenz war die Quelle seines apostolischen Wirkens. Das
Geheimnis der Liebe Gottes und das Geheimnis der Armen waren die beiden Pole
der dynamischen Liebe von Vinzenz. Aber sein Weg hatte noch eine dritte Dimension,
nmlich die Art und Weise, die Zeit zu sehen. Die Zeit war das Mittel, durch das die
Vorsehung Gottes sich ihm kundtat. Er handelte in bereinstimmung mit der Zeit
Gottes und nicht nach seinem eigenen Rhythmus. Tun wir das Gute, das zu tun sich
uns anbietet, riet er. Laufen wir der Vorsehung nicht voraus.
Ein weiterer Aspekt der Zeit war bei Vinzenz die Gegenwart Gottes hier und
jetzt. Gott ist hier! (Einfluss von Ruysbroek). Gott ist hier in der Zeit. Gott ist hier in
den Menschen, in den Ereignissen, in den Umstnden, in den Armen. Gott spricht jetzt
zu uns, in und durch sie. Vinzenz war ein Mensch, der im besten Sinn ganz in seine Zeit
eintauchte. Er folgte Schritt fr Schritt der Fhrung der Vorsehung. Er besa keinen
persnlichen Terminkalender und auch keine Ideologie. Er brauchte Jahrzehnte, um
zu einer solchen inneren Freiheit zu gelangen. Das ist der Grund, warum der Weg des
Vinzenz zu Heiligkeit und Freiheit (1600-1625) der Schlssel ist, um die tgliche
Dynamik des Apostels der Nchstenliebe zu verstehen.
Zu seinen Priestern und Brdern sagte er: Wenn man unseren Herrn fragt: Warum bist
du auf die Erde gekommen? Um den Armen zu helfen. Und warum noch? Um den
Armen zu helfenusw. In seiner Gesellschaft gab es nur Arme, und so sind auch wir
nur in sehr beschrnktem Ma in den Stdten ttig: er verkehrte fast immer nur mit den
Leuten in den Drfern und unterwies sie. Sind wir also nicht sehr glcklich, in der
Mission das zu tun, was auch Gott getan hat, als er Mensch wurde? Und wenn man
einen Missionar fragen sollte, wre es fr ihn nicht eine Ehre, wenn er mit unserem
Herrn sagen knnte: Misit me evangelizare pauperibus? (Coste XI,108). Wenn er von
Christus sprach, war er manchmal ganz hingerissen. 1655 rief er aus: Bitten wir Gott,
er mge der Genossenschaft diesen Geist, dieses Herz geben, dieses Herz, das uns
heit, berall hinzugehen, dieses Herz des Sohnes Gottes, dieses Herz unseres Herrn,
dieses Herz unseres Herrn, dieses Herz unseres Herrn, das uns fhig macht,
hinzugehen, wohin gegangen wre Er sendet uns aus wie sie (die Apostel), um das
Feuer berall hinzutragen, dieses gttliche Feuer, dieses Feuer der Liebe (Coste XI,
291).
Fr Vinzenz waren beide Dimensionen der Spiritualitt, die horizontale und
vertikale, unbedingt notwendig. Er war der Meinung, Christusliebe und Armenliebe
seien nicht voneinander zu trennen. Er ermahnte seine Anhnger immerfort, nicht nur
zu handeln, sondern auch zu beten, und nicht nur zu beten, sondern auch zu handeln:
Als ein Mitbruder einwandte: Aber, mein Herr, es gibt so viel zu tun, so viele
Geschfte im Haus und so viel Arbeit in der Stadt und auf dem Land! berall gibt es
Arbeit; muss man also das alles aufgeben, um nur an Gott zu denken? antwortete er
mit Nachdruck: Nein, aber wir mssen diese Beschftigungen heiligen, indem wir
Gott darin suchen und sie so verrichten, dass wir ihn dort finden, und nicht so sehr, um
sie nur verrichtet zu haben. Unser Herr will, dass wir vor allem seine Ehre, sein Reich,
seine Gerechtigkeit suchen und indem wir das tun, legen wir uns aus der Sicht Gottes,
unseres hchsten Herrn, ein Kapital an fr unser inneres Leben, den Glauben, das
Vertrauen, die Liebe, die geistlichen bungen, die Betrachtung, die Zerknirschung, die
Demtigungen, die Arbeit und die Mhen! Knnten wir ihm doch stndig Opfer des
Dienstes darbringen und die Wnsche, seiner Gte Knigreiche anzubieten, Gnaden
seiner Kirche und Tugenden der Genossenschaft. Wenn wir fest entschlossen sind,
Gottes Ehre zu suchen, knnen wir sicher sein, dass der Rest sich einstellen wird (Coste
XII, 132).
In einem revolutionren Werk von 11 Bnden, die vor zirka einem Jahrhundert
verffentlicht wurden, hat Henri Brmond die Zeit des heiligen Vinzenz als eine ra
der mystischen Suche beschrieben. Als Zusammenfassung eines bedeutsamen
Kapitels ber Vinzenz schrieb er: Die Mystik hat uns den grten unserer Menschen
der Tat geschenkt (Histoire littraire du sentiment religieux en France, III - la conqute
mystique (Paris, 1921), S. 257).
I
n einer weiteren Perspektive knnte man Vinzenz einen Mystiker mit zwei
Linsen nennen. Anders gesagt: er sah (er machte die Erfahrung) denselben Gott
durch zwei verschiedene Linsen, und das gleichzeitig. Eine Linse war sein eigenes
Gebet; die andere war der Arme und die Welt, in der dieser lebte. Jede Sicht hat die
andere beeinflusst, die eine hat die Wahrnehmung der anderen vertieft und
verbessert. Vinzenz hat die Liebe Gottes gesehen (und gesprt) in diesen beiden
Perspektiven gesehen und gleichzeitig energisch auf das Gesehene geantwortet.
Um die Richtung unserer berlegung, unseres Planens und unseres Tuns als
Mitglieder der vinzentinischen Familie beizubehalten, um uns zu helfen, ber Vinzenz
als Mystiker der Nchstenliebe nachzudenken, haben die vielen Kongregationen, die
Teil der vinzentinischen Familie sind oder knftig sein werden, ihre eigenen
Konstitutionen als ihre ersten und wichtigsten Quellen, und alle Zweige in ihrer
Gesamtheit haben die Schriften und Konferenzen des heiligen Vinzenz von Paul sowie
die Schriften und Konferenzen anderer Heiliger und Seliger der vinzentinischen
Familie zur Verfgung. Machen wir es uns zur Pflicht, diese Texte tglich zu lesen und
zu beten.
Mgen wir anlsslich des Festes des heiligen Vinzenz von Paul, das wir mit der
ganzen vinzentinischen Familie und mit vielen anderen Personen, Gruppen und
Organisationen und mit allen jenen feiern, die mit uns arbeiten und dienen, durch
diese besondere Gnadenzeit, die uns die Vorsehung dank des 400. Gedenkjahres
des Entstehens unserer Spiritualitt und unseres gemeinsamen Charismas schenkt,
ermutigt werden.
Ich wnsche jedem und jeder von uns ein wunderschnes Fest. Hren wir nicht
auf, einander im Gebet zu tragen!
Toma Mavri CM
Generalsuperior